Montag, 27. Juli 2009

FR31R4UM-H4CK1NG

Kurzfassung des Artikels: "Subversives, aktionistisches Wirtschaften mit der Ressource urbaner öffentlicher Raum", erschienen im aktuellen zoll+ 14 (Schriftenreihe für Freiraum und Landschaft) zum Thema wirtschaften...
Text und Polaroids: Michael-Franz Woels

Content:

Performative practices for artistic interventions with ephemeral settings are expressions of active, dynamic space appropriation. The term Freiraum-Hacking introduced to the art and science discourse thereby refers to the subversive, experimental character of methods developed by the Communication-Guerilla-Movement. The framework of Freiraum-Hacking is characterized by playful, performative and experimental assemblies and introduces re-orientations into the urban public space. This article introduces conceptual principles and examples of strategies and tactics used by the Communication-Guerilla as well as contemporary actions of the Viennese Landscape-Architecture-Kollektiv kampolerta. The ephemeral settings in a performative context put up for discussion symbolic space production and reduced possibilities of urban public space utilisation. They feature in exemplary manner, plumbing whether artistic interventions can induce a more active use of the public space and promote critical reflections.


Unter Freiraum-Hacking in Anlehnung an den Begriff des Cultural Hacking verstehe ich eine zeitgenössische künstlerische und landschaftsarchitektonische Fortsetzung der Kunst des Handelns (Arts de faire) (im Sinne von DE CERTEAU). Aneignung wird als aktiver und dynamischer Prozess verstanden, bestehende Strukturen können für eigene Zwecke umgedeutet werden. Strategisches und taktisches Handeln im Außenraum im Rahmen von Freiraum-Hacking-Aktionen folgt dabei der Logik von Hackern. Diese dringen in fremde Systeme ein, versuchen sich darin zu orientieren und führen dann neue und unerwartete Aktivitäten und Nutzungen ein.

DÜLLO versteht unter Hacking ganz allgemein eine spielerische (vgl. polaroid image 1) und explorative Nutzung.



:Agieren nach der Logik von Hackern:

Folgende Aspekte des Cultural Hackings (nach DÜLLO) lassen sich auch auf die künstlerisch-landschaftsarchitektonische Praxis des Freiraum-Hackings anwenden:


#1: Hacking zielt auf Neu- und Desorientierung ab

#2: Hacking ist ein Ineinanderaufgehen von Spiel und Ernst

#3: Die Vorgangsweise ist experimentell

#4: Hacking äußert sich performativ



#1: Hacking zielt auf Orientierung / Desorientierung ab:

Es geht nicht nur ausschließlich um die Erkundungen in einem fremden System, um sich darin zurechtzufinden, sondern auch darum, eine bewusste Desorientierung bzw. neue

Orientierungen in dieses System, in diesem Fall in den urbanen öffentlichen Raum, einzuführen. Diese Re-Orientierungen werden meist durch eine Umcodierung bewerkstelligt. Umcodierung heißt auch, dass gezielt Doppeldeutigkeiten und scheinbare Ähnlichkeiten benutzt werden, um Bedeutungsebenen zu wechseln und neue Benutzeroberflächen zu erzeugen. Freiraum-Hackerinnen und Freiraum-Hacker können so via interventionistischer Eingriffe zur Ausbildung neuer Strukturen und Figurationen (zB begrünte Autodächer bei der Aktion parkrasen, polaroid image 2) beitragen. Beispiele möglicher Störungen und Neukonfigurationen von Systemen, die in das Programm der kulturellen Grammatik des öffentlichen Raumes eingreifen, werden bei den Praktiken der Kommunikations-Guerilla aufgelistet.


#2: Hacking ist eine Verquickung von Spiel und Ernst:

Als typisches Kennzeichen des eigenen Arbeitsprozesses weist es zugleich ernstes Spiel und spielerischen Ernst auf, wobei das spielerische Element als ein wesentlicher Motor von Innovationen dienen kann. Freiraum-Hackerinnen und Freiraum-Hacker vereinen als hybride Wesen sowohl die skills von verspielten BastlerInnen als auch das know-how von ernsthaften, pragmatischen IngenieurInnen.


#3: Die Vorgangsweise ist experimentell:

Freiraum-Hacking bedient sich experimenteller Versuchsanordnungen für kalkulierte Interventionen in ein System wie den öffentlichen Raum. Die Freiraum-Hackerin und der Freiraum-Hacker verbinden die analytisch-systemische Praxis der Ingenieurin, des Ingenieurs bzw. der Wissenschaftlerin, des Wissenschaftlers mit der kreativen, spielerischen Praxis der Künstlerin, des Künstlers. Ein experimentelles Basteln mit Tools, die für den jeweiligen Zweck gar nicht vorgesehen sind, ist ein weiteres Kennzeichen (zB Rollrasen auf Autodächern, polaroid image 2).


#4: Freiraum-Hacking äußert sich primär performativ:

Als experimenteller Zugriff auf den öffentlichen Raum äußert sich Freiraum-Hacking primär performativ, d.h. es realisiert sich über seine eigene Praxis. „Im Cultural Hacking wird einerseits Kunst als Wissenschaft betrieben, und andererseits orientiert sich Wissenschaft an Kunst bzw. Poesie und deren Erscheinungs- bzw. Inszenierungsformen.“ (DÜLLO 2005: 25) Auch bei den Formen des Freiraum-Hackings verschwinden die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Forschung und künstlerisch-kreativen Praktiken und „ist nicht zuletzt auch gleichbedeutend mit Performance und Interaktion.“ (DÜLLO 2005: 35)


:Praktiken der Kommunikations-Guerilla:

Bei Freiraum-Hacking-Interventionen geht es um ein Bewältigen und Mitgestalten von alltäglichen Transformationsprozessen – und damit auch um kulturelle Innovationen im allgemeinsten Sinne. In der urbanen Praxis bedeutet das vor allem: eine Auseinandersetzung mit rechtlichen Situationen, mit den wirtschaftlichen Aspekten wie Kosten und Förderungsmöglichkeiten geplanter Interventionen, etc. Theoretische Überlegungen werden dadurch auf ihre empirisch-praktische Bewährung hin überprüft. Freiraum-Hacking in seiner wirtschaftlichen Dimension bedeutet kritische Exploration und zwar in dem Sinne, herauszufinden, wie viel die eigenen Konzepte aushalten und wie sie am Ende doch durch öffentliche Institutionen kompromittiert werden können. Taktiken und Praktiken, die beim Freiraum-Hacking zur Anwendung gelangen sind eine Auswahl erprobter Methoden der Kommunikations-Guerilla (vgl. DÜLLO 2005):


#1: Vorgabe von Tatsachen

#2: Tarnung von Aktionen, Camouflage

#3: Imitat, Appropriation Art

#4: Collage und Montage



#1: Die Vorgabe von Tatsachen zur Schaffung von Ereignissen:

Hier steckt die Tatsache dahinter, dass wirklich ist, was wirkt und somit Wirklichkeiten auch künstlich hergestellt werden können.

Ein Beispiel dafür stellt eine Aktion des Büros für ungewöhnliche Maßnahmen in Berlin dar. Besucherinnen und Besucher des Park Sanssouci wurden aufgefordert, vor Betreten des Parks Immun-Schutzbezüge über ihre Straßenschuhe zu ziehen, da bedingt durch die anhaltende Hitze und die Ozonwerte der Pflanzenbazillus Floraglittus veg. epidermis Schäden an der empfindlichen Parkvegetation anrichten könnte. Die angeblich in der Bitumenschicht des Asphalts ansässigen Keime könnten vom menschlichen Schuhwerk übertragen werden und so wurde den Anweisungen der Parkverwaltung ordnungsgemäß gefolgt. Tausende in Operationssälen übliche Plastik-Überschuhe bevölkerten somit für kurze Zeit die Parkanlagen.

Diese vermeintliche Aktion der Stiftung Preußischen Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg wurde in weiterer Folge als performative Antwort auf eine Ablehnung einer Anfrage des Büros für ungewöhnliche Maßnahmen entlarvt. Der Wunsch nach einer künstlerischen Gestaltung der Parkanlage, der ihnen ursprünglich verwehrt wurde, konnte mit dem ephemeren, performativen Kunstwerk Parkschoner umgesetzt werden. Die Besucherinnen und Besucher waren mit dem Glauben an eine erfundene Vorschrift freiwillige aber unwissentliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses künstlerischen Racheaktes. (vgl. BLISSETT 1997)


#2: Die Camouflage, die Tarnung:

Eine unauffällige bzw. harmlos erscheinende Oberfläche täuscht über den auf den zweiten Blick brisanten und kritischen Inhalt hinweg.

Im Juni 2008, an einem F13 Freitag, fand eine Performance von kampolerta mit dem Titel Draußen vor der Tür am Genochmarkt in Stadlau statt. „Unsichtbares Theater wird in der Öffentlichkeit gespielt; es gibt kein Bühnenbild, die Szene findet dort statt, wo sie in Wirklichkeit auch stattfinden könnte. Dabei ist entscheidend, dass eine erkennbare Theaterszene vollkommen anders wahrgenommen wird als eine scheinbare Alltagssituation.“ (BLISSETT 1997: 138) Die Performance von kampolerta setzt sich mit der Thematik der Zugänglichkeit des öffentlichen Raums für unterschiedliche Bevölkerungsschichten und der Frage für wen die Nutzung von Räumen somit offen steht auseinander. Der ehemalige Marktstand am Genochmarkt (vgl. polaroid image 3) symbolisiert eine Hotellobby, die nachmittags nur für ausgewählte Gäste offen steht. Im Gegensatz zum exklusiven Kreis von Privilegierten repräsentieren vergängliche, mit schwarzer Kohle aufgezeichnete Schatten vor der Marktbude diejenigen, denen der Eintritt in viele Räume und Lebensbereich allzu oft verwehrt bleibt. (vgl. SCHWARZ 2008)


#3: Appropriation Art, das Imitat:

Einerseits soll bei der Appropriation Art der Akt des Kopierens möglichst gut und damit auch möglichst wenig erkennbar sein, um nicht als harmlose Parodie zu erscheinen. Andererseits lebt der gewünschte Effekt der Fälschung gerade davon, dass dieser erkannt und entdeckt wird.

Ein zweiteiliges Projekt, welches im Herbst 2003 und 2004 in Berlin unter dem Titel Camp Kleister stattfand beschäftigte sich mit Appropriation Art, der Kunst der Aneignung. Mit Hilfe von Sponsoren wurden Werbetafeln angekauft und der Bevölkerung zur freien Gestaltung überlassen. Jeder konnte sich bei diesem Projekt bewerben, einzige Grundvoraussetzung war, dass keine Werbeinhalte dargestellt werden.

„Besucher des Bezirks und vor allem die Einwohner mussten bei der Bewegung durch ihren Stadtteil an vielen Stellen auf mit neuen Inhalten belegte Plakatflächen und auf an Plakatflächen arbeitende Menschen treffen. Somit wurde der Prozess des Eingriffs in die Stadtkultur bemerkt und Veränderungen sofort registriert. Dadurch, dass die Beteiligten an den Werbetafeln auf der Straße sichtbar waren, bestand für Passanten die Möglichkeit nachzufragen, was es mit diesem Projekt auf sich hat. Somit konnte die persönliche Kommunikation der Menschen untereinander der unpersönlichen Werbung entgegentreten.“ (KÖNIG in KRAUSE & HEINICKE 2006: 156)

„Letztendlich waren es aber doch vor allem Künstler die sich bei uns gemeldet haben“, resümiert eine Mit-Initiatorin dieser Aktion, „ für den Normalbürger gibt es wahrscheinlich eine riesengroße Hemmschwelle sich auf einer Werbetafel auszudrücken.“ (ANSTETTEN 2008)


#4: Die Collage und Montage:

Diese künstlerischen Ausdrucksmittel versuchen, selbstverständliche Wahrnehmungsmuster der Alltagsrealität durcheinander zu bringen und damit Verunsicherung zu schaffen. Vertraute Bilder und Begriffe werden aus ihrem Zusammenhang gerissen und in einen neuen, meist den bisherigen Begriff kritisierenden Kontext gestellt. Weiters umfassen sie alle möglichen Varianten des Zweckentfremdens, Umfunktionierens und Uminterpretierens. (vgl. DÜLLO 2005)

Eine Variante der Zweckentfremdung stellt die Montage-Aktion Parkrasen (vgl. polaroid image 2) dar. Die Autodachbegrünungsaktion von kampolerta thematisiert den zunehmenden Flächenverbrauch im Stadtraum für den ruhenden und bewegten motorisierten Individualverkehr. Rollrasenmatten wurden dabei auf Autodächern geparkt, und kleine Stücke des Parkrasens an Passantinnen und Passanten verteilt. Im dicht bebauten Ottakring sind die engen, verparkten Gassen der einzige verbleibende Raum an dem öffentliches, urbanes Leben stattfinden kann. Es geht bei dieser Aktion somit um die Sichtbarmachung eines sich im Aneignen wieder zurückeroberten persönlichen Gestaltungsfreiraumes. Die applizierte Rasenfläche fungiert als prononciertes Symbol für den marginalisierten Grün- und Wohlfühlraum in diesem Bezirk.


:Konzeptionelle Überlegungen:

Im Agieren im und Verändern des urbanen öffentlichen Raumes durch verschiedene Arten des Freiraum-Hackings wird eine gängige Erlaubniskultur angezweifelt. Die Grenzen der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten werden dadurch oft enger als notwendig gezogen. Es wird oftmals im Voraus realen oder imaginären Konflikten ausgewichen. Diese Zurückhaltung gegenüber nicht explizit erlaubten, nicht vorformulierten Verhaltensweisen und gegenüber nicht oder noch nicht etablierten Handlungs- und Aneignungsmodellen scheint zum Teil kulturell tief verwurzelt zu sein.

Es geht bei Freiraum-Hacking-Aktivitäten nicht primär darum, Passantinnen und Passanten über ein zivilcouragiertes staatsbürgerliches Verhalten zu belehren, sondern vielmehr darum, eine Palette von Handlungs- und Aneigunungsmöglichkeiten aufzuzeigen und anzuregen. (vgl. HOFBAUER & DERSCHMIDT in HAYDN & TEMEL 2006) Subversives, aktionistisches Wirtschaften mit öffentlichen Raumressourcen stellt Fragen und Forderungen an den Freiraum und seine Qualitäten, an die Verfügungsmacht über öffentliche Ressourcen und öffentliche Räume. Für GÄLZER (2001) ist der Begriff Freiraum aber generell problematisch, „denn es gibt keinen freien Raum. Zu fragen ist allenfalls: frei – wovon, wofür, wodurch?“ (GÄLZER 2008: 338) Somit sind Freiraum-Hackerinnen und Freiraum-Hacker angehalten, sich mit diesen grundlegenden Fragestellungen bei ihren Aktivitäten reflexiv auseinanderzusetzen, denn „dann offenbaren sich der Raum und die Form als Potentiale, in denen das Visionäre und Imaginäre lebendig sind.“ (HEINRICHS 1993: 8)



Literatur:

ANSTETTEN, Laetitia von (2008): Culture Jamming http://www.culture-jamming.de/interviewVI.html (06.07.08)



BLISSETT, Luther (1997): Handbuch der Kommunikationsguerilla. Verlag Libertäre Assoziation, Hamburg.



DE CERTEAU, Michel (1988): Kunst des Handelns. Merve Verlag, Berlin.



DÜLLO, Thomas; LIEBL, Franz (Hg.) (2005): Cultural Hacking – Kunst des Strategischen Handelns. Verlag-Springer, Wien.



GÄLZER, Ralph (2001): Grünplanung für Städte. Verlag Eugen Ulmer GmbH&Co., Stuttgart.



HAYDN, Florian; TEMEL, Robert (Hg.): Temporäre Räume – Konzepte zur Stadtnutzung.Verlag Birkhäuser, Basel.



HEINRICHS, Hans-Jürgen (1993): „Bewege dich, so wirst du schön“ – Tanz, Musik, Meditation und Wirklichkeit. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg.


KRAUSE, Daniela; HEINICKE, Christian (2006): Street Art – Die Stadt als Spielplatz. Verlag Thomas Tilsner, Berlin.

SCHWARZ, Miriam (2008): Die Märkte denen, die sie betreiben. Augustin 229: 25.

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